EINLEITUNG

Die kleine Johanna wird wahrscheinlich am Morgen des Dreikönigstags, dem 6. Januar 1412, in Domrémy geboren, 20 km südlich von Vaucouleurs in Lothringen. Ihre Eltern, Jacques d'Arc und Isabelle Romée, sind recht wohlhabende Bauern und ihre Tochter hätte ebenso gut all ihre Zeit damit verbringen können, von der Mutter beten, spinnen und nähen zu lernen und mit dem Vater auf dem Feld zu arbeiten. Sie hätte mit 14 oder 17 Jahren einen 10 Jahre älteren Mann heiraten können (vielleicht Jean Moen, einen Stellmacher aus dem Nachbardorf, der 1456 bei ihrem Rehabilitationsprozess aussagt). Sie hätte, wie Tausende anderer Frauen, 15 Kinder gebären und sang- und klanglos zwischen 50 und 70 Jahren sterben können, ohne je von sich reden zu  machen. Wenn ihr nicht, als sie etwa 13 Jahre alt war, an einem Fastentag bei großer Sommerhitze etwas Unerwartetes widerfahren wäre. 

Was hat sie wirklich gesehen? Später sagt sie: ein Licht in der Nähe der Kirche, als die Glocken läuteten. Ihre Richter im Ketzereiprozess sagen, es seien der Heilige Michael, der Schutzheilige der Franzosen, aber auch die Heilige Katharina und die Heilige Margarethe gewesen. Vor allem ist jedoch von den Dämonen Satan, Belial und Behemoth die Rede, denn so kann man Johanna auf den Scheiterhaufen schicken, damit sie aufhört, in den Krieg gegen England einzugreifen, indem sie behauptet, Gott sei auf der Seite der Franzosen.

In jenem Jahr, 1425, sieht sich die kleine Johanna in der Fantasie vielleicht als Verteidigerin des Mont-Saint-Michel, der gerade von den Engländern belagert wird. Vier Jahre später liegen die Engländer vor Orléans und Johanna macht sich auf, um die Belagerung der Stadt aufzuheben, König Karl VII. und dem französischen Königreich Hilfe zu bringen, den Herzog von Orléans zurückzuholen, der sich seit der Schlacht von Azincourt in englischer Gefangenschaft befindet, und schließlich die Engländer ganz aus Frankreich zu vertreiben. Nicht alle dieser Ziele kann sie erreichen, doch als sie um den ersten Fastensonntag (13. Februar) 1429 von Vaucouleurs nach Chinon aufbricht, wo sich der König aufhält, zweifelt sie nicht, dass es ihr gelingen wird, diesen zu überzeugen. Was sie erwartet, ahnt sie jedoch nicht: Ruhm und Berühmtheit, Schlachten, Krönung und Weihe Karls VII. - und am Ende Gefangenschaft und Tod mit 19 Jahren.

 


Chinon:

Hier trifft Johanna um den 23. Februar 1429 ein und verlangt, dem „Dauphin“ (Thronfolger) vorgeführt zu werden, d.h. dem zukünftigen König Karl VII. Dieser ist nur von seinem Militärstab umgeben, der Hof ist abwesend.* Die Stimmung ist gedrückt, denn elf Tage zuvor hatte die französische Armee eine bittere Niederlage in der „Schlacht der Heringe“ hinnehmen müssen. Johanna wird dem Dauphin als Prophetin vorgestellt. Sie selbst sagt, sie wurde „von Gott gesandt, um Euch und das Königreich zu retten“. 

Johanna wird zunächst in der Festung „Tour du Coudray“ untergebracht und dann nach Poitiers geschickt, wo Karl VII. sie von einer kirchlichen Kommission befragen lässt.

 

* Die bekannte und beliebte Szene mit dem verkleideten Karl VII., der auf wundersame Weise dennoch von Johanna erkannt wird, hat sich so nie zugetragen: sie  ist eine Erfindung des Jesuiten Fronton du Duc, der im 17. Jh. ein Theaterspiel über Jeanne d'Arc schrieb.

 

Sainte-Catherine-de-Fierbois:

Johanna erreicht Sainte Catherine de Fierbois um den 22. Februar 1429. Die kleine Kapelle ist der Heiligen Katharina geweiht, der Schutzheiligen der Gefangenen. Wer einer Gefahr entkommen ist, kann zum Dank eine Votivgabe in das Kirchlein bringen. Unter diesen Votivgeschenken befindet sich ein Schwert, auf das Johanna aufmerksam wird.

 

Tours: 

Nachdem sich eine Kommission von Geistlichen in Poitiers für Johanna ausgesprochen hat, wird diese nach Tours geschickt, wo sie vom 6. bis 24. April 1429 im Hause eines gewissen Jean Dupuy untergebracht ist. Sie wird auf Anordnung des Dauphin mit einer Standarte und einer Rüstung ausstattet. Auch Jean de Metz und Bertrand de Poulangy, die sie auf der Reise von Vaucouleurs nach Tours begleitet haben, werden hier ausgerüstet. Johanna lässt sich das Schwert, das sie in der Kapelle von Sainte Catherine de Fierbois ausfindig gemacht hat, holen und behält es bei sich, bis sie Paris erreicht.

Blois:

Johanna hält sich vom 25. bis 27. April in Blois auf. Nach dem 1. März hatte sich die französische Armee nach Blois zurückgezogen, denn seit der „Schlacht der Heringe“ wird Orléans als verloren betrachtet; in den Übergabeverhandlungen versuchen die Franzosen lediglich, die Stadt nicht dem Herzog von Bedford, sondern eher dem mit diesem verbündeten Herzog von Burgund ausliefern zu dürfen. Dennoch wird ein Konvoi mit Lebensmitteln für das belagerte Orléans zusammengestellt, der gerade losziehen soll, als  Johanna in Blois ankommt. Sie und ihre Eskorte werden mit dem Konvoi mitgeschickt.

 

Chécy: 

Der Versorgungszug, zu dem nun auch Johanna gehört, kann nicht direkt im belagerten Orléans einmarschieren. Das ganze rechte, nördliche Ufer wird von den Engländern kontrolliert. Daher bleibt der Konvoi auf dem Südufer der Loire, umgeht die englischen Positionen (insbesondere die Festung Tourelles) und zieht bis nach Chécy, 8 km flussaufwärts. Im Laufe des 29. April 1429 kommt der Konvoi gegenüber von Chécy an. Aus Orléans sollen Schiffe geschickt werden, um die Vorräte auf dem Flussweg in die belagerte Stadt zu transportieren. Aber der herrschende Nordostwind erlaubt es den Booten nicht, gegen den Strom nach Chécy hochzufahren, um dort den Proviant abzuholen. Doch dann geschieht das „Wunder des Windwechsels“: Der Wind springt tatsächlich um, die Schiffe aus Orléans können nun mit Westwind nach Chécy hochfahren, dort beladen werden, Johanna und ihre Eskorte an Bord nehmen und mit der Strömung des Flusses wieder nach Orléans zurückfahren, wo sie am Fuße der Stadtmauer abgesetzt werden.

Orléans:

Am Abend des 29. April zieht Johanna in Orléans ein. Seit dem 12. Oktober 1428 wird die Stadt von englischen Truppen belagert; Kapitulationsverhandlungen sind im Gange. Doch Johanna gibt den niedergedrückten Einwohnern wieder Mut und kann sie so sehr begeistern, dass der Befehlshaber, der „Bastard von Orléans“ (Dunois), nach Blois aufbricht, um die französische Armee nach Orléans zu holen. Diese zieht am 4. Mai in Orléans ein. Noch am selben Tag erobern die Franzosen die am weitesten östlich gelegene Stellung der Engländer, die „Bastille Saint-Loup“. Am 6. Mai folgt die „Bastille des Augustins“ im Süden. Am 7. wird die Brücke der Stadt eingenommen und am 8. zieht sich die englische Armee zurück, nachdem sie etwa ein Drittel ihrer Truppen verloren hat.

 

Loches:

Jeanne d´Arc ist wahrscheinlich, bevor sie in Sainte Catherine de Fierbois ankam, schon einmal über Loches gekommen. Am 22. Mai kommt sie wieder für mehrere Tage nach Loches. Der Dauphin lässt sie zu seinem Rat holen, um ihre Meinung zur besten Strategie zu hören. Es wird beschlossen, zuerst den Thronfolger in Reims zum Köng weihen zu lassen, anstatt zunächst die Engländer in der Normandie anzugreifen. Bis dahin wird Johanna dem Herzog von Alençon anvertraut. Er hat den Befehl, sie in allen Fragen bezüglich der Rückeroberung der noch von den Engländern besetzten Städte rund um Orléans stets zu Rate zu ziehen.

 

Selles-sur-Cher:

Die französische Armee sammelt sich zwischen Saint-Aignan-sur-Cher und Selles-sur-Cher. Diese Episode erwähnt ein vor kurzem eingetroffener Kämpfer, der Herr von Laval. In einem Brief an seine Mutter beschreibt er in allen Einzelheiten die Tage, die er dort verbringt, sowie seine Begegnung mit Johanna von Orléans. Sobald die Truppen gesammelt sind, zieht die Armee wieder nach Orléans und schickt sich an, die Nachbarstädte einzunehmen.

Jargeau:

Jargeau, seit dem 2. Oktober 1428 von den Engländern besetzt, steht unter dem Oberbefehl des Grafen von Suffolk. Am 11. Juni 1429 kreist die französische Armee die Stadt ein. Als ein Artilleriegeschütz eine Bresche in die Stadtmauer reißt, wird der Herzog von Alençon so lange von Johanna und den Hauptleuten geschimpft und  gescholten, bis er befiehlt, anzugreifen. Der Angriff ist brutal: Am 12. Juni wird die Stadt befreit und der Graf von Suffolk von einem einfachen Knappen gefangen genommen. Um der Schande zu entgehen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als den Knappen zum Ritter zu schlagen.

Meung-sur-Loire:

Nach der Einnahme von Jargeau bricht die französische Armee zur Belagerung von Meung-sur-Loire auf, kann jedoch zunächst nur die befestigte Brücke der Stadt einnehmen und macht sich sodann an die Belagerung von Beaugency. In der Zwischenzeit versucht eine von Paris angekommene englische Versorgungstruppe, die Brücke zurückzuerobern, muss aber - gewarnt von Landsleuten auf dem Rückzug aus Beaugency - nach Janville umkehren, wo sie einen Teil ihrer Ausrüstung gelassen haben. Die Franzosen kommen siegreich aus Beaugency zurück und befreien nun endgültig die Stadt Meung-sur-Loire. 

Beaugency:

Am 16. Juni beginnt die französische Armee die Belagerung der Stadt. Am selben Tag stößt der Connnétable de Richemont, der sich gegen den Thronfolger aufgelehnt hatte, zu den französischen Truppen. Nach anfänglichem Zögern reiten ihm der Herzog von Alençon und Jeanne d´Arc entgegen und heißen ihn willkommen. Angesichts des plötzlichen Truppenaufkommens rund um die Stadt verlieren die englischen Hauptleute, Matthew Gough und Richard Guetin, den Mut. Man gewährt ihnen den Rückzug. Der eine zieht nach Le Mans, der andere nach Paris. Auf dem Weg nach Paris kommen die englischen Truppen durch Meung-sur-Loire, wo sie ihre Landsleute vor der bevorstehenden Rückkehr der Franzosen warnen (siehe Meung-sur-Loire).

Patay:

Nach dem Versuch der englischen Truppen, Meung-sur-Loire zurückzuerobern, macht sich die französische Armee am 18. Juni  an deren Verfolgung. Bei Patay holen die Franzosen die Engländer ein, die in einem Hinterhalt liegen. Da taucht ein Hirsch auf, löst in den englischen Reihen Geschrei aus und verrät den Franzosen ihr Versteck. Die französischen Truppen greifen an. Die Engländer werden vernichtend geschlagen, sämtliche Befehlshaber werden gefangen genommen. Der Sieg der Schlacht von Patay öffnet den Weg nach Reims zur Königsweihe Karls VII. Von jetzt ab sind die Franzosen in ihrem Kampf gegen die Engländer und deren Verbündete, die Burgunder, endgültig im Vorteil.


EPILOG

Nach der Schlacht von Patay marschiert die königliche Armee nach Montargis, wo sich die verschiedenen Kompanien treffen, um gegen Reims zu ziehen. Dort wird Karl VII. am 17. Juli 1429 zum König geweiht. Innerhalb von zwei Monaten erobert die königliche Armee große Teil der Champagne und des Pariser Beckens zurück, doch als der Winter näher rückt, muss ein Großteil der Truppen wieder ins Loiretal zurückgeführt werden, ohne Paris eingenommen zu haben – trotz Johannas Beteiligung. Jeanne d´Arc kämpft mit mehreren Kompanien weiter: Sie geht gegen Perrinet Gressard, den Anführer einer Truppe von Plünderern vor, dessen Hauptquartier in der Nähe von Bourges liegt. Doch vor la Charité sur Loire muss sie erneut eine Niederlage einstecken. Im folgenden Frühjahr wird sie beauftragt, Compiègne gegen eine anglo-burgundische Gegenoffensive zu verteidigen, während Hauptmann Raoul de Gaucourt zur gleichen Zeit Lyon verteidigt (am 11. Juni 1430 siegt er bei der Schlacht von Anthon) und der Herzog von Alençon eine Offensive gegen die Normandie vorbereitet, die jedoch scheitert. Am 23. Mai 1430 wird Jeanne bei einem Ausfall aus dem belagerten Compiègne von den Burgundern gefangen genommen, später an die Engländer verkauft und von diesen nach Rouen geschickt, wo im Januar 1431 ihr Prozess wegen Ketzerei beginnt. Der Herzog von Bedford, Regent des englischen Königreichs in Frankreich, muss in diesem Prozess beweisen, dass Johanna, die angibt, im Namen Gottes zu handeln, lügt. Am 24. Mai unterwirft sie sich ihren Richtern und schwört ab, widerruft jedoch am 28. und wird folglich als rückfällige Ketzerin am 30. Mai 1431 auf der Place du Vieux-Marché in Rouen verbrannt.

Der englisch-französische Krieg endet erst 1453 mit der Eroberung des Herzogtums la Guyenne (im heutigen Aquitanien), dem rechtmäßigen Besitz des englischen Königs, durch Karl VII. 1456 wird Johanna von Orléans nach einem neuen Prozess, der auf Anordnung Karls VII. stattfindet, rehabilitiert.

Erst 1475 wird der offizielle Friedensvertrag unterzeichnet, der den Hundertjährigen Krieg beendet.

 

© Olivier Bouzy

Traduction allemande : Kristina Kähm, Irene Schäfer, Christina Winkel, Hélène Zimmer.